Wie Mobbing-Betroffene zu neuem Selbstwert finden

Interview
Sicherlich kennst du das Gefühl, an deinem Arbeitsplatz nicht die angemessene Anerkennung zu erhalten oder dass deine Anstrengungen und Beiträge übersehen werden. Aber was, wenn dies über das normale Maß hinausgeht? Was, wenn es zu gezielten Demütigungen, Schikanen und Beleidigungen kommt? Mobbing ist ein ernstes Thema, das viele von uns entweder direkt oder indirekt betrifft. In diesem Interview erhältst du viele hilfreiche Informationen – unabhängig davon, ob du selbst betroffen bist; eine Person kennst, die damit zu kämpfen hat oder einfach nur mehr darüber erfahren möchtest. Nora Sinemillioglu ist Mediatorin und Trainerin zu Kommunikations- und Konfliktfragen und gewährt dir hier Einblicke darüber, wie Mobbing-Betroffene sich fühlen, wie sie sich schützen und wie sie ihren Selbstwert wieder aufbauen können.

Wie kann Mobbing aussehen und welche Gefühlslage haben Betroffene dabei?

Wenn wir von Mobbing sprechen, dann sprechen wir von einem Konflikt, der unendlich eskaliert ist und wo sich mindestens eine Partei komplett in die Ecke gedrängt fühlt. Sie wird von der anderen Person, von der anderen Konfliktpartei schikaniert, also gedemütigt, vor anderen vorgeführt, bekommt Aufgaben aufgetragen, die sie gar nicht erledigen kann, wird beleidigt. Es wird also in jedweder Form versucht, sie auszugrenzen oder womöglich auch aus dem Unternehmen zu kicken. Und das auf verschiedensten Ebenen mit Schikanen, Demütigungen, Beleidigungen in E-Mails, in direkter Form oder auch hinter dem Rücken anderer. Betroffene von Mobbing fühlen sich natürlich extrem in die Ecke gedrängt und hilflos. Und das hat ganz viele Auswirkungen auf die Psyche und auf die Physis. Also denen geht es richtig, richtig dreckig. Die können oft nicht mehr schlafen oder haben sonstige physische Störungen und man kann vielleicht auch in Depressionen verfallen, sind aber natürlich überhaupt nicht mehr motiviert, zur Arbeit zu kommen und sind traurig, verzweifelt und haben das Gefühl, ich kann hier gar nichts mehr machen. Sie sind völlig waffenlos – letztlich – und haben auch das Gefühl, sie sind in einer Opferrolle. Sie können nichts tun, um irgendwie an der Situation irgendetwas zu verändern.

Wie kann der Verlauf von Mobbing aus der Betroffenen-Perspektive aussehen?

Es gibt in aller Regel wie bei allen Konflikten auch beim Mobbing einen Verlauf. Es fängt nicht bei 100 % an, sondern es steigert sich langsam. Also das beginnt oft so, dass man irgendwie merkt: Das war mal komisch, da grüßt mich jemand nicht mehr. Oder: Das war jetzt aber eine komische E-Mail, da kann ich gar nichts mit anfangen. Und auf einmal passieren Dinge und purzeln oder brechen über einen herein, die man sich nicht erklären kann. Komische Verhaltensweisen, eine Beleidigung oder eine beleidigte E-Mail, irgendwelche Aufgaben, die man nicht erledigen kann, weil man nicht die Ressourcen dafür hat oder weil das gar nicht in seinen Aufgabenbereich fällt. Also sehr viele Dinge, die für einen unerklärlich sind. Und dass das Gespräch mit dem Gegenüber auch nicht mehr möglich ist, dass der einen abblockt, ignoriert oder nur noch irgendwie harsch mit einem spricht. Also jede Menge Sachen, wo man ganz viele Fragezeichen hat und das Gefühl hat, man wird hier ausgegrenzt, weggedrückt, in die Ecke gedrängt, ohne dass man weiß, was passiert und dass man wirklich zur Zielscheibe geworden ist. Das ist das Gefühl, was Mobbing-Betroffene haben, und das steigert sich in aller Regel langsam über einen gewissen Zeitraum und hält einen gewissen Zeitraum an.

Was können Betroffene konkret tun, um ihren Selbstwert und ihr Selbstbewusstsein – sowohl während des Mobbings als auch danach – zu stärken?

Ja, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein, das ist in Mobbing-Fällen in der Regel im Keller. Und um das wieder auf ein angemessenes Niveau zu bringen, da wo es vorher war, da braucht man in aller Regel Hilfe von außen. Und das können natürlich auf niedrigschwelliger Ebene erst mal Gespräche mit Freundinnen und Freunden sein oder Familie. Und das sage ich hier auch ganz bewusst, weil Mobbing-Situationen oft auch schambesetzte Situationen sind, dass sich Personen dafür schämen, dass sie da irgendwie so eine ausgegrenzte Position innehaben. Das heißt, sich anzuvertrauen und anderen zu erzählen, was einem gerade widerfährt, das ist total wichtig, damit die einen wieder mit der Realität in Kontakt bringen. Und einem sagen: Du bist nicht komisch oder scheiße oder irgendwas, was dir dein Gegenüber da gerade suggeriert. Natürlich ist es in extremen Mobbing- bzw. Konfliktfällen auch wichtig, sich in professionelle Hände zu begeben. Und das kann sein, dass man zum Beispiel in ein Coaching geht, in dem man diese Mobbing-Situation aufarbeitet oder mit einer Mediatorin, einem Mediator zusammenarbeitet und auf die Konfliktsituation schaut. Und sich in noch extremeren Fällen natürlich auch therapeutische Hilfe holt. Und auch da ist überhaupt nichts Schlimmes dran. Es ist sogar wichtig, dass man so was therapeutisch gegebenenfalls aufarbeitet, damit so was einem auch nicht wieder passiert, weil man in der Mobbing-Situation ja auch in eine gewisse Rolle schlüpft. Und wenn man dazu neigt, dann sollte man sehen, wie man aus dieser Rolle rauskommen kann und sich gut schützen und wehren kann gegen solche Situationen. Weitere Dinge, die man tun kann im Alltag, wenn man von der Mobbing-Situation betroffen ist, sind natürlich, sich in den anderen Arbeitsbeziehungen auf jeden Fall weiter auszuleben, sag ich mal. Also da die Beziehungen zu pflegen und sich nicht völlig zurückzuziehen. Das ist sehr wichtig, dass man in Kontakt bleibt mit Personen im Arbeitskontext, in dem einem das widerfährt, die einem ein gutes Gefühl geben und von denen man erfährt, dass man gute Arbeit macht und dass man in der Lage ist, Arbeitsbeziehungen zu gestalten. Dass man also eine Peergroup hat, auf die man sich zurückziehen kann und sich nicht wirklich nur in dieser Rolle der gemobbten Person fühlt.

Was möchtest du Betroffenen für ihren weiteren Weg noch mitgeben?

Ich würde Mobbing-Betroffenen gerne zwei Dinge mitgeben. Das eine ist unbedingt Mut, sich aus dieser Situation heraus zu bewegen und wirklich auch die Zuversicht, dass es eine Lösung gibt und dass man da rauskommen kann. Das haben schon andere geschafft und solche Situationen sind nicht ewig. Man kann sich da raus bewegen, auch wenn man dafür vielleicht jemand Externes braucht. Und das zweite, was ich gerne mitgeben würde, ist die Tatsache, dass ihr nicht alleine seid, diejenigen, die ihr euch von Mobbing betroffen fühlt oder betroffen seid. Ungefähr 30 % der arbeitsfähigen Bevölkerung hat schon mal Mobbing erlebt, sagen die Statistiken und über 50 % davon im Arbeitskontext. Also das passiert unglaublich vielen Leuten und deswegen ist es auch überhaupt nichts, was man verstecken muss, wofür man sich schämen muss.

In diesem Interview hast du erfahren, welche psychologischen und physischen Auswirkungen Mobbing auf Betroffene haben kann, wie du dich davor schützen kannst und wie du deinen Selbstwert in solch schwierigen Zeiten stärken kannst. Solltest du oder eine Person, die du kennst, Unterstützung benötigen oder weitere Fragen zu diesem Thema haben, stehen die hier genannten Ansprechpartner jederzeit – auf Wunsch auch anonym – zur Verfügung. Denke immer daran: Du bist nicht allein mit diesem Thema und es gibt Wege, um aus dieser belastenden Situation herauszukommen.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.
AXA-Konzern AG

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Diese Website verwendet nur notwendige Cookies, die keine personenbezogenen Daten enthalten. Details findest du in unserem Datenschutzhinweis.


Mit einem Klick auf "Zum Angebot" akzeptierst du unsere Nutzungsbedingungen.